Ich kann mich noch wirklich gut an die Zeiten des Eisernen Vorhangs erinnern. Ich brauchte ein Visum, um meine Großeltern in der (damals) Tschechoslowakei zu besuchen. Selbst als Kind war ich nicht vom Zwangsumtausch befreit. Das waren damals 30 DM pro Tag, eine ganze Menge Geld, gerade auch für einen Monat. Es gab einen Steifen Niemandsland, den ich mehr als ein Mal mit meiner Mutter abgelaufen bin, um auf die andere Seite der Grenze zu gelangen und meine Großeltern zu begrüßen.
Den Göttern sei Dank gehört das zumindest in Europa der Vergangenheit an, auch wenn diverse I*** am liebsten wieder Stacheldraht, Selbstschussanlagen und bewaffnete Wachtürme an den Grenzen wieder einführen würden.
Wenn du heute in Europa unterwegs bist, dann ist es unglaublich einfach zu reisen.
Du kannst einfach hin und her wechseln, brauchst nicht jedes Mal Deinen Pass zücken, günstiger einkaufen oder wenn Du im anderen Land arbeitest, vielleicht mehr verdienen und Steuern sparen. Du bist einfach frei und kannst gehen, wohin Du willst. Du kannst, wie in Konstanz zum Beispiel direkt mit einem Fuß in einem Land stehen und mit dem anderen in einem anderen Land. Noch dazu stehst du außerhalb der EU, denn die Schweiz gehört eben nicht dazu.
Doch eine durchlässige Grenze kann auch von Nachteil sein. Es kommen leichter illegale Waren von einem Land ins andere, die Kriminalität hat es einfacher, man kann leichter die Vorteile des anderen Staates missbrauchen und vielleicht hat der ein oder andere das Gefühl, überrannt zu werden von neuen Ideen und anderen Ansichten.
Warum erzähle ich das Ganze?
Nun, es gibt nicht nur zwischen Ländern Grenzen, sondern auch zwischen Menschen.
Und auch diese Grenzen sind auch mehr oder weniger durchlässig.
Bei fremden Menschen warst du erst einmal eine gewisse Distanz. Es ist dir unangenehm, wenn ein Fremder dir zu nahe auf die Pelle rückt oder dich gleich mit intimen Details aus seinem Leben überschüttet. Wenn so deine Grenze verletzt wird, reagierst du zu Recht mit Distanz und machst meist auch zu.
Wenn du jemand gut kennst und magst, dann ist deine Grenzen offener, deine Mauern niedriger. Du lässt diesen Menschen näher an dich heran, sowohl körperlich als auch emotional.
Eine offene Grenze bedeutet nicht automatisch, keine Grenze zu haben, sie ist nur einfach durchlässiger und näher an uns selbst.
Das kann manche Menschen dazu verführen, sich zu viel herauszunehmen.
Wir kennen alle die Freundin, die dich meistens nur dann anruft, wenn sie Probleme hat und alles bei dir abladen will. Oder da gibt es die Kollegin, die es immer wieder schafft, dir auch noch ihre unangenehmen Jobs aufzudrücken. Und sicher kennst du auch noch einiges an Steigerungen von diesen recht harmlosen Varianten.
Manchmal endet es auch darin, dass du Entscheidungen für andere treffen sollst.
Manche Menschen wollen nicht die Verantwortung für ihr Handeln, für ihr Leben übernehmen und verstecken sich hinter anderen. Gibst Du so einem Menschen einen gut gemeinten Ratschlag und das Ganze geht in die Hose, dann kannst du fast sicher sein, dass du dafür verantwortlich gemacht wirst.
Ich möchte klar stellen, mir geht es nicht darum, dass du nicht da bist, wenn eine Freundin dir ihr Herz ausschüttet. Dafür sind Freunde da, denn man teilt miteinander die guten und die nicht so guten Zeiten. Ich spreche hier von Ausnutzen, von emotionalen Einbahnstraßen, von permanenten Grenzüberschreitungen und ich bin sicher, du kennst den Unterschied.
Je näher wir den Menschen stehen, desto schwieriger fällt es uns, unsere Grenze, die doch eigentlich offen ist, zu verteidigen. Ganz schwierig wird es, wenn Familie betroffen ist.
Menschen, die uns nahe stehen, können uns leichter manipulieren, denn die wissen genau, welche Knöpfe sie bei uns drücken müssen, damit die gewünschte Reaktion erfolgt.
Das muss noch nicht einmal aus bösem Willen oder mit Absicht geschehen. Oft laufen diese Mechanismen unbewusst und die Menschen selbst sind in ihren Mustern gefangen.
Gerade wenn wir Verständnis haben und den anderen nicht nur verstehen, sondern uns auch in diesen Menschen einfühlen können, geht es uns selbst ziemlich nahe.
Je näher uns dieser Mensch steht, desto mehr beschäftigen uns die Dinge, die ihn auch belasten. Wir wollen helfen und machen uns Gedanken, Sorgen, wie wir diesen Menschen unterstützen können.
Auf diese Weise werden fremde Probleme zu unseren.
Ich denke, du kennst auch das Gefühl, als seelischer Mülleimer benutzt zu werden.
Wir schlafen schlecht, wälzen die Sorgen, die nicht unsere sind, uns aber beschäftigen. Wir sind nicht so gut drauf, unsere Laune geht in den Keller und fühlen uns beschwert.
Je enger und vertrauter die Beziehung ist, desto schwieriger fällt es uns, Grenzen zu ziehen.
Wir möchten den anderen Menschen nicht verletzen, ihm helfen und ihn nicht in einer für ihn schweren Phase allein lassen. Doch wenn wir uns zu sehr emotional verstricken lassen, dann hilft das keinem.
Wir laufen in Gefahr uns in Mitleid statt in Mitgefühl zu verheddern.
Wir haben keinen Blick mehr für mögliche Lösungen. Wir hängen selbst in einer Schleife und unsere Gedanken werden von Problemen, die nicht unsere sind, beherrscht.
Hier ist übrigens der Unterschied zu Mitgefühl. Da fühlst du mit, begibst dich aber nicht in das Drama des anderen. Du kannst noch eine gewisse emotionale Distanz wahren und lösungsorientiert handeln, gerade wenn der andere vielleicht in einer Extremsituation dazu nicht mehr in der Lage ist.
Und manchmal ist es noch so, dass wir uns mit fremden Problemen beschäftigen, die schon inzwischen gelöst wurden, aber kein Mensch hat es uns gesagt, denn wir wurden nur als Abladeplatz genutzt.
Ich denke, dir kommt bestimmt die ein oder andere Situation in den Kopf, wo dir genau das auch einmal passiert ist. Mir zumindest schon.
Vor allem wir Frauen sind immer hilfsbereit und dann tappen wir leicht in die Falle, in der wir Verantwortung für Dinge übernehmen, die nicht unsere sind.
Wie kommen wir nun aber aus dieser Falle heraus?
1. Bewusst machen
Der erste Schritt ist, auf dich selbst zu achten und zu spüren, wenn es wieder soweit ist. Wenn du darauf achtest, dann wirst du erkennen, wenn du wieder manipuliert werden sollst. Es sind auch immer die üblichen Verdächtigen, erinnere dich an die Kollegin vom Anfang.
Auch ich gerate immer noch manchmal in die Fallen, die ich gerade beschrieben habe, aber der erste Schritt ist, sich genau diese Fallen bewusst zu machen.
Damit ist das Ganze noch nicht aufgelöst, aber du erkennst vielleicht schon beim nächsten Mal, dass deine Grenze verletzt wird.
Vielleicht schaffst du es noch nicht, die Grenze zu ziehen, aber du bist nicht mehr passiv, du veränderst deinen Blick und du wirst sensibler für deine Bedürfnisse.
2. Grenzen ziehen
Gut, ich gebe zu, das ist der schwierige Teil, aber diesen Weg musst du gehen, um bei dir bleiben zu können.
Wenn dir ein „Nein“ schwer fällt – und das tut es sicher, denn wir alle möchten keinen nahe stehenden Menschen verletzen oder verärgern, dann biete Lösungen oder Alternativen an.
Schlage einen anderen Zeitpunkt vor, ein anderes Umfeld oder ziehe dich mit einer Begründung zurück, die dein Gesicht und das des anderen wahrt.
Bei manchen Menschen hilft aber wirklich nur der Holzhammer. Ihnen musst du direkt sagen, dass du dich nicht in ihren Schlamassel reinziehen lassen willst und wirst, weil es dich selbst zu sehr belastet.
Du wirst sicher mindestens Irritation ernten und wahrscheinlich auch Vorwürfe hören, die mehr oder weniger subtil sind und dir das Gefühl geben, diesen Menschen im Stich zu lassen.
Sorry, aber da musst du durch, denn du musst auch nicht nur Grenzen ziehen, sondern sie auch verteidigen.
Das ist schwer, das tut weh und du fühlst Dich erst einmal schlecht. Aber bitte bleibe dir zuliebe standhaft, denn sonst wirst du der Abladeplatz bleiben, für andere weiter leiden und am Ende wird es dir wirklich mies gehen.
Nicht nur dass du dich mit fremden Problemen belastest, du ärgerst dich auch noch über dich selbst, weil du mal wieder zu weich warst.
Wenn Du aber deine Grenzen ziehst und bei dir bleibst, dann ist das auch ein Zeichen deiner eigenen Wertschätzung dir selbst gegenüber. Du nimmst dich und deine Bedürfnisse wichtig und stellst nicht andere in ihrer Wichtigkeit für dich. Grenzen ziehen ist ein Akt der Selbstliebe und des Selbstrespekts.
Damit wirst du nicht zum egoistischen Monster, das nur sich selbst sieht, sondern du nimmst dich selbst ernst und sorgst für dich.
Du fängst an, dich dir gegenüber so zu verhalten, wie du dich schon lange anderen gegenüber verhältst.
Wenn du es nicht allein schaffst, Grenzen zu ziehen, dann wäre es einen Gedanken wert, ob du dir nicht Unterstützung holst. Ich helfe dir gern dabei, deine Grenzen zu erkenne, sie zu verteidigen und dich wertzuschätzen.
Und jetzt Du! Ich bin auf Deine Gedanken und Deine Strategien gespannt, wie Du Grenzen setzt. Schreibe sie mir in die Kommentare, damit auch andere davon profitieren.
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